Immer wieder ist er in der letzten Zeit diskutiert worden, der Terminus des „transitive painting“, den der amerikanische Kunsttheoretiker David Joselit 2009 in der Herbstausgabe der amerikanischen Kunstzeitschrift October in seinem Artikel „Painting Beside Itself“ zur Diskussion gestellt hat. Seine These, aktuelle Malerei, darunter die von Jutta Koether, Wade Guyton oder Cheyney Thompson stünde neben sich selbst oder wäre transitiv, also über sich hinausgehend, resultiert aus der Beobachtung, dass in ihr weniger das materiale Objekt, das Gemälde, zum Thema gemacht wird, als die Überlagerung ihrer Bedeutungszusammenhänge und sozialen Netzwerke.
Betrachtet man das aktuelle Ausstellungsgeschehen, kann man auch hierzulande den Eindruck gewinnen, die Malerei sei gerade für jüngere Künstler/innen wieder eine zeitgemäße Option, wobei sie nur noch äußerst selten in der Auffassung eines autonomen Mediums zu Tage tritt. Stattdessen lassen Künstler/innen sie, ähnlich wie bei Joselit dargestellt, über ihren Rahmen hinaus in Relation zur Geschichte des Mediums treten und zum räumlichen oder institutionellen Kontext, in dem sie gesehen und diskutiert wird.
Auch die künstlerische Produktion von Kathrin Köster, die spätestens seit 2008 nicht mehr nur „malt“, kann man als „transitiv“ bezeichnen. Denn die Künstlerin entwickelt und stellt ihre malerische, zuweilen ins dreidimensional-bildhauerische übergehende Produktion, die dabei aber immer noch auf den Grundelementen der Malerei basiert – so etwa Gemälde, die auf weißen minimalistischen Displays installiert in den Raum gestellt werden – , in Bezug zur konkreten Ausstellungs-Architektur. Beispielsweise indem sie deren formale Eigenheiten in die Anlage ihrer Werke einfließen lässt.
Zuletzt konzipierte sie den begehbaren „Gesamtraum“ – so bezeichnet die Künstlerin ihre Installationen – mit dem Titel Platzhalter, der Gegenstand dieser Publikation ist. „Das Bild hat keine Grenzen“, sagt Köster, „es setzt sich in sich selbst und nach außen hin fort. Ohne Rahmen.“ Die aus dieser Behauptung resultierenden Fragen, etwa die, wo die Grenzen eines Bildes verlaufen oder ob man ein Bild anders sieht, wenn es an der Wand hängt oder eben installativ im Raum platziert ist, sind dabei nur einige der Überlegungen, mit denen sich Köster und somit auch uns als Betrachter/innen konfrontiert.
Wenn sie sich schließlich in Anbetracht ihrer eigenen Arbeit die Frage stellt: „Sehe ich ein Bild oder eine Wand?“, bietet es sich an, neben Joselits Begriff des „Transitiven“ auch den schon etwas älteren Aufsatz „Das Bild der Ausstellung und die List des Bildes“ des Schweizer Kunsthistorikers und Kurators Markus Brüderlin aus dem Jahr 1993 heranzuziehen. Denn der erkannte bereits damals in Bezug auf die zeitgenössische Installationskunst das folgende Paradox: „Man kann dieses Bildwerden des Rahmens als komplementäre Tendenz zur Expansion der Avantgarde auffassen. In dem Maße, in dem das Bild sich ausdehnt, die Wand und dann die Architektur erobert, in dem Maße wird auch die Gegentendenz herausgefordert: Der Rahmen verdichtet sich zum Bild und der Kontext erscheint plötzlich als Bildinhalt.“
Für den Gesamtraum Platzhalter war ein hellgrau gestrichener Ausstellungsraum, der durch eine fast durchgehende Wand in zwei Einzelkabinette unterteilt war, der Ausgangspunkt.
Im vorderen Teil ihrer Schau präsentierte Köster ihre Bilder in diesem räumlichen Kontext so, dass sie dem Betrachter zugewandt waren. Wohingegen sie im hinteren Raum die Abgewandtheit der Bilder thematisierte. Unter anderem dadurch, dass sie die Vorderseiten der im Raum installierten Gemälde mit geringer Entfernung zur Wand bzw. zum Fenster hin ausrichtete, so dass sie vom Betrachter kaum einzusehen waren.
Die Art und Weise der Präsentation der zum Teil erst nach einer architektonischen Bestandsaufnahme entstandenen Exponate – in den Raum gestellte Gemälde, auf Sockeln installierte Bilder, rahmenlos direkt an die Wand und auf den Boden applizierte Malerei auf Stoff, Lattengestelle, die Displays und Raumgerüste bilden – gab dabei eine Art Topografie und verschiedene lose Pfade vor, welche die Künstlerin sich in ihren „Bewegungsskizzen“ erarbeitet hat.
Dabei war die raumteilende Wand ihr konzeptueller Ansatzpunkt: „Um Teil der Ausstellung zu sein, musste sie Ausgangspunkt und Konzept werden. Sie sollte hervortreten und gleichzeitig verschwinden.“ Dies erreichte die Künstlerin durch die Konstruktion einer spitzwinklig zusammenlaufenden, symmetrischen Lattenkonstruktion, die sie vom Durchgang her von beiden Seiten vor die Wand schob, wobei sie das Gerüst und die innerhalb der Konstruktion liegenden Wandflächen schattenhaft in einem mittleren Grauton strich – eine weitere Referenz auf den Galerieraum, dessen Wandfarbe hier in etwas dunklerer Abtönung erscheint. Von der einen Seite aus lehnte sie dann ihr großformatiges Gemälde NN (Rias) (2010) an das Gestell, dessen Rahmengröße genau der des Bildes entsprach. Auf der anderen Seite der Wand eröffnete sich innerhalb des Gerüsts ein begehbarer Raum.
Weitere Raumbezüge in Platzhalter fanden sich unter anderem auch in dem Gemälde mit dem Titel NN (den Maßen der Fensteröffnung entsprechend, Fensterschauer) (2011), das in seinen Maßen (325 x 230 cm) auf die Größe der Fensteröffnung des hinteren Raumes abgestimmt war. Die Vorderseite dieses Bildes, das mit Hilfe einer Holzkonstruktion etwa in 80 cm Entfernung parallel zum Fenster installiert war, wies nach außen, konnte vom Betrachter also nicht vollständig erfasst werden. In den Raum gerichtet präsentierte uns Köster dafür, sozusagen ersatzweise, eine in der Farbe der Galeriewände gestrichene Holzplatte. In Anbetracht dieser Geste sei noch einmal auf die oben genannte Frage der Künstlerin, „Sehe ich ein Bild oder eine Wand?“, verwiesen, denn mit diesem versatzstückhaften „Wandsurrogat“ wird sie einem hier buchstäblich vor Augen geführt.
Eine weitere Referenz auf den Ausstellungsraum findet sich in dem Gemälde NN (abgerundet) (2010), das die Architektur des Ausstellungsraumes in seiner rechten oberen Ecke aufnimmt, die – analog zum geschwungen Übergang der realen Raumwand hin zur Decke – abgerundet ist. Die Arbeit NN (Raute) (2010) hingegen ist bereits im Zusammenhang einer früheren Ausstellung entstanden, fungiert aber in Platzhalter – im Eingangsbereich zwischen Vor- und Ausstellungsraum vermittelnd – wie eine „Schleuse“, womit auch sie in einen aktuellen örtlichen Bezug tritt.
Die einzelnen, immer abstrakten und in Mischtechnik gemalten Bilder Kösters, die in übereinander lappenden Farbschichten strukturell zwischen fest und diffus, opak und transparent, monochrom und vielfarbig vermitteln, thematisieren in sich selbst bereits eine Art von Raumsuche, bevor sie in den realen Raum übertragen werden. „Jedes Bild steht für einen neuen Anfang, einen neuen Versuch, ein abstraktes Bild zu malen“, sagt Köster, womit sie durchaus malerei- wie selbstkritisch ihre Skepsis gegenüber dem Fertigen, dem Festgelegten zum Ausdruck bringt.
Genau an dieser Stelle bietet es sich an, den von Köster gewählten Titel Platzhalter ins Spiel bringen, den man durchaus so verstehen kann, dass jedes ihrer Bilder und somit auch ihre Ausstellung selbst ein Stellvertreter für etwas ist, was noch kommt, was noch zu benennen ist. So lässt sich auch der Titel NN, mit dem die Künstlerin alle ihrer Werke benennt, im Sinne des lateinischen „nomen nominandum“ (eines noch zu nennenden Namens) erklären. Andererseits aber hat Köster diese ungewöhnliche Titelbeigabe auch deshalb gewählt, weil sie auf die geografische Bezeichnung „Normalnull“ hinweist. Womit man wieder beim Denken in räumlichen Konstellationen angekommen wäre.
„Meine Bilder können für Räume und zu deren Bedingungen entstehen“, sagt Kathrin Köster.
Doch was passiert nach der Ausstellung mit den einst raumbezogenen Exponaten? Und wie lässt sich eine Installation, die erst durch die ortspezifische Präsenz des unmittelbar erlebten Kunstwerkes entsteht, so dokumentieren, dass dabei am Ende nicht nur ein fader „installation shot“, ein „Bild der Ausstellung“ verbleibt? Denn „gerade sie [die Installation]“, so hier nochmals Brüderlin, „wird von der List des Bildes eingeholt, indem sie als Dokumentation in den Katalogen und Kunstzeitschriften, die heute oft wichtiger geworden sind als die Ausstellungen selbst, ins Bild zurückschlüpft, um dort ihre Verewigung zu suchen.“
Beiden dieser Fragestellungen, die spätestens mit der Etablierung ortsbezogener Kunst allgegenwärtig sind, begegnet Kathrin Köster auf experimentelle Weise. So behilft sie sich momentan mit dem Begriff des „Variablen“ und versucht hin und wieder, Arbeiten aus bereits bestehenden Konstellationen auch in neue Zusammenhänge zu stellen, wie hier geschehen bei NN (Raute) (2010).
Der Problematik der Dokumentation arbeitet Köster mit Publikationen entgegen, die sie als Leporello konzipiert. Oder – wie im vorliegenden Beispiel – indem sie die Katalogseiten so gestaltet, dass Installationsansichten und Detailaufnahmen, die in ihrer Abfolge an dem von ihr favorisierten „Rundgang“ durch die Ausstellung orientiert sind, über die Seiten verlaufen und somit zumindest einen gewissen Raumeindruck und einen Bewegungsrhythmus suggerieren. Neuerdings wählt sie zur Erfassung ihrer „Gesamträume“ aber auch das Medium Film. So folgen wir bei Im Nacken (2011) einer Person, die sich in gleichmäßigem Tempo durch die Ausstellung Platzhalter bewegt. Wer sich diesen Film ansieht, wird feststellen, dass hier die Bewegung selbst in den Vordergrund tritt. Ob jedoch genau dieser Effekt nun schon das erwünschte Ergebnis von Köster ist, ist im Moment noch offen, und – gerade in Relation zur Problematik des „Bildes der Ausstellung“ – darf man gespannt sein, zu welchen Erkenntnissen die Künstlerin in ihren zukünftigen „Filmen der Ausstellung“ noch kommen wird.