Kathrin Köster

Osmotisches Flüstern

Über Kathrin Kösters gleichnamige Werkserie
Von Linnéa Bake

Ein Blatt, eine Kalebasse, eine Muschel, ein Netz, ein Beutel, ein Tragetuch, ein Sack, eine Flasche, ein Topf, eine Schachtel, ein Container. Ein Gefäß. Ein Behältnis.

Als skulpturale Objekte verweisen Kathrin Kösters Keramiken – verschiedenformig bauchige, in ihrer Unregelmäßigkeit organisch anmutende Hohlkörper – auf die ihnen zugleich innewohnende Funktion: sie sind Gefäße. Das erste Werkzeug war ein Behältnis, so Ursula K. Le Guin in ihrem Essay The Carrier Bag Theory of Fiction aus dem Jahr 1986,1 in dem sie dafür plädiert, die „carrier bag“ (Tragetasche) – stellvertretend für ein Ding, das etwas anderes in sich aufnimmt – als Ausgangspunkt einer alternativen Erzählung der menschlichen Kulturgeschichte zu etablieren. Körbe, Tragetaschen und Gefäße dienen Le Guin in ihrem Essay als leise Protagonist*innen einer Geschichte, die nur allzu oft vom lauteren Erzählstrang des mammutjagenden Helden und seinem Speer dominiert wurde (und in ihrer zeitgenössischen Form immer noch wird). Den prometheisch-technologischen Fortschritts-Utopien ihrer Zeit stellte die Science Fiction-Autorin und Theoretikerin Le Guin (1929-2018) mit der Carrier Bag Theory das Sammel- oder Tragebehältnis als Repräsentation einer Form von Technologie entgegen, die auf Gemeinschaft, Kooperation und die Erhaltung des Lebens abzielt.

In ihrer Materialität und Formgebung sind Kösters Skulpturen aus der Werkserie Osmotisches Flüstern (2023) der sogenannten „Olla“ (spanisch für Topf oder Kessel) entlehnt – einem porösen, unglasierten Krug aus Ton, der zur Bewässerung von Plantagen und Gärten im Boden eingegraben wird. Als antike Bewässerungsmethode, der eine bis zu 2000-jährige Geschichte zugeschrieben wird, könnten wir die Ollas also durchaus als mögliche Protagonist*innen eines von Le Guin vorgeschlagenen Narrativs verstehen. Sie nutzen die poröse, semi-durchlässige Eigenschaft des einfach gebrannten Tons, um Pflanzen effizient mit Wasser zu versorgen: Im Vergleich zu konventionellen Bewässerungsmethoden können durch die Anwendung des physikalischen Prozesses der Osmose, der danach strebt, das Konzentrationsgefälle von Wasser auf beiden Seiten einer semipermeablen Membran auszugleichen, so etwa fünfzig bis siebzig Prozent Wasser eingespart werden. Die Funktionsweise der Terrakottagefäße nachempfindend – tief in den Boden eingegraben benötigen sie keine Standfüße und sind am unteren Ende meist rund oder spitz zulaufend geformt – nehmen Kathrin Kösters Skulpturen verschieden ausformulierte Formen an: klein und rundlich, mit konvex oder konkav zulaufenden Abkantungen oder mit lang herausragenden Gliedmaßen versehen, weisen die Hohlkörper stets eine oder mehrere Öffnungen ähnlich eines Flaschenhalses auf. Als Objekte erinnern sie an fiktive Organe, die an ein vaskuläres Netzwerk angeschlossen werden könnten, an Abzweigungen eines imaginären rhizomorphen Gebildes, oder vielleicht an einzelne Bauteile einer futuristischen Maschine. Sie erwecken dabei den Anschein, als gehörten sie zu einem in sich geschlossenen System; als könnten sie zu einem ko-abhängigen großen Ganzen zusammengesetzt werden.
Eine umgekehrte Ausgrabung

Zugleich weckt die Formgebung von Kösters Skulpturen durchaus auch die Assoziation mit antiken Amphoren. Wenn wir den Keramikobjekten losgelöst von der Funktionsweise ihrer wasserspendenden Verwandten im Ausstellungsraum auf Podesten präsentiert begegnen, mag es uns fast so vorkommen als bewegten wir uns durch die Sammlung eines archäologischen Museums oder entlang provisorisch errichteter Präsentationstische für Fundstücke einer antiken Ausgrabungsstätte. Ihre mysteriöse Präsenz als Bedeutungsträger wird zudem durch handschriftliche Inskriptionen und eingravierte Zeichnungen von Händen auf der Oberfläche des Tons manifestiert. Auch die minimalistischen Holzkonstruktionen, auf denen die Skulpturen jeweils auf einer Glasplatte positioniert ruhen, sind mit Einschreibungen versehen, die als Beschreibung ihres Entstehungsprozesses oder als Handlungsanweisung gelesen werden können: „Meine Hände bohren sich in die Erde hinein, drücken und schieben das Material zu den Seiten, der Gravitation folgend. Die Hände schaffen einen Hohlraum, der mit Wasser befüllt, ein Becken wird. […] Wasser bewegt sich durch ihre Wände. Durchstreift die Formen in ihrer Horizontalen. Wird gesaugt, gezogen, gedrückt.“2 Während der archäologische Blick naturgemäß ein rekonstruierender ist, scheinen diese Inschriften ihrerseits auch auf eine Funktion des Objekts zu verweisen, die es noch nicht erfüllt hat. Köster, deren raumgreifende Praxis ihren Ausgang in der Malerei nimmt, verkehrt in dieser Installation gewissermaßen die temporale Kausalität: Wie Artefakte einer zukünftigen Ausgrabung warten diese „Technofossilien“ tatsächlich noch darauf, überhaupt erst in die Erde eingegraben zu werden.

Verzwirbelt, verknotet, gebündelt, verwachsen.

Im Anschluss an deren Ausstellungspräsentation „pflanzt“ Kathrin Köster ihre Ollas zum Teil tatsächlich in der Erde ein, wo sie, wie der Titel einer der Keramikskulpturen der Serie vermuten lässt, mit ihrer Umgebung „verwachsen“ und „verzwirbelt“ Teil eines unterirdischen Systems aus Wurzeln und Organismen, aus gegenseitigem Geben und Nehmen werden. Es liegt offensichtlich eine gewisse Poetik in der Geste, den Ton, als gebrannte Erde, in einem gemeinschaftlichen Moment der Einpflanzung wieder in den Erdboden zurückzuführen. Zugleich wirft diese Geste auch die immerwährende Frage nach dem Status der Funktionalität des Kunstobjekts an sich auf. In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit (tatsächlichen) ethnografischen Sammlungen verweist die Kuratorin Clémentine Deliss in diesem Zusammenhang auf Bruno Latours Unterscheidung zwischen der „ostenstiven“ und „performativen“ Definition eines Objekts. Während sich die ostensive, oder augenscheinliche, Definition auf die statische Natur eines Artefakts beziehe, lege die performative Definition ihrerseits nahe, dass ein Artefakt durch Interaktionen auch neue Bedeutungen erzeugen kann.3 Kösters Skulpturen werden in ihrem Transit vom Ausstellungsraum in den Erdboden sowohl einem ostensiven (in ihrer ursprünglichen Funktion als Bewässerungssystem) wie auch einem performativen (auf ihre zukünftige Interaktion spekulierenden) Referenzrahmen ausgesetzt. Eine ähnliche Schlussfolgerung lässt sich bereits in Hanne Lorecks Überlegungen zu Kathrin Kösters Praxis finden – in Bezug auf Kösters raumgreifenden malerischen Prozess und ihre Auseinandersetzung mit der Falte beschreibt Loreck dabei die „Tat der Falte“ sowohl als performatives als auch als operatives Prinzip.4

Über die Tat der eingegrabenen Tonkrüge können wir indes nur spekulieren: Wie die untergetauchten Objekte gemeinsam mit den sie umgebenden Wurzeln im Erdboden eine kontinuierliche Transformation durchlaufen werden; wie sie ihre unterirdische Umgebung ständig verändern, während sie zugleich eins mit ihr werden. Im Laufe der Zeit werden die Skulpturen wahrscheinlich irgendwann verwittern und wieder zu Erde werden, von Mikrolebewesen verzehrt, die sich von ihrem fruchtbaren Mulch ernähren. Wo ihre Anwesenheit den Boden bereichert hat, wird ihre Zersetzung nun einen negativen Raum hinterlassen, der durch ihren Zerfall wiederum bereichert wird. Leise flüstern sie dabei ihre Geschichte von Permeabilität und Permanenz.

(1) Ursula K. Le Guin, ‘Die Tragetaschentheorie des Erzählers’, in: Am Anfang war der Beutel. Warum uns Fortschritts-Utopien an den Rand des Abgrunds führten und wie Denken in Rundungen die Grundlage für gutes Leben schafft, übers. Matthias Fersterer. (Klein Jasedow: Drachen, 2021), 12-21; Zitat Zwischenüberschrift: S. 15.

(2)  Kathrin Köster, 2023.

(3)  Bruno Latour, ‘Reassembling the Social. An introduction to Actor-Network-Theory’ (Oxford, 2005), zitiert in: Clémentine Deliss, The Metabolic Museum. (Berlin: Hatje Cantz, 2020), 64 (Übers. d. Verf.).

(4) Hanne Loreck, ‘Die Tat der Falte. Zu Kathrin Kösters Arbeiten seit 2014’, in: Kathrin Köster. ex plica. (Berlin: argobooks, 2019), 7-17.

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